15. So im JK 22
Mainberg
Kirchweihfest
Das heutige Evangelium vom barmherzigen Samariter kennen wir wohl alle seit Schülerzeiten, liebe Schwestern und Brüder – aber irgendwie klingt es leicht verstörend – vielleicht auch aus der Zeit gefallen. Denn es geht um das recht einfache und völlig eindeutige Gebot der Gottes-, Nächsten- und Selbstliebe – und dessen praktische Umsetzung. Dahinter steht aber auch die Fragen nach der Beachtung gesetzlicher Vorschriften, nach der Entscheidung des eigenen Gewissens, und auch nach der Abstufung bei unterschiedlichen Rechtsgütern. Sie merken schon – da kommt der Jurist zum Vorschein! Viel einfacher hat es ein neunjähriger Schüler ausgedrückt, als er nach der entsprechenden Religionsstunde bemerkte: „Gut, was Jesus da erzählt, aber halt praktisch so schwer!“
So ähnlich würde ich ebenfalls antworten – und so sahen es auch die Religionsvertreter der damaligen Zeit – der Priester und der Levit – letzterer vielleicht eine Art Vorläufer des modernen Diakons? Aus ihrer Sicht durften sie einen Sterbenden oder Toten nicht berühren, denn dadurch würden sie unrein werden und könnten ihren Dienst im Tempel nicht vollziehen. Dass dieses Verhalten nicht dem Gebot der Nächstenliebe entspricht, ist völlig klar – aber was ist wichtiger: rituelle Reinheit oder konkrete Hilfe? Bevor wir aber den Stab über die damaligen Kleriker brechen, sollten wir uns fragen, wie wir in ähnlichen Situationen handeln, liebe Schwestern und Brüder!
Und da fange ich bei mir selbst an! Würde ich z.B. auf dem Weg zum Sonntagsgottesdienst in Waldsachsen anhalten, wenn ich einen beschädigten Pkw am Straßenrand sehe und dabei auch Menschen erkenne, die möglicherweise verletzt sind – obwohl ich mit Sicherheit zu spät in der Pfarrkirche erscheinen würde? Würde ich vielleicht nur den Rettungsdienst anrufen, was selbstverständlich auch notwendig ist, - oder selbst Hand anlegen, zumindest aber vor Ort verbleiben, bis Hilfe gekommen ist? Sie sehen an diesem einfachen Beispiel, wo Prioritäten sich verschieben können! Wie wäre das aber bei strömendem Regen mitten in der Nacht auf einer einsamen Straße – hätte ich da nicht Bedenken, dass das vielleicht eine Falle ist und mich jemand ausrauben würde? Da fiele mir die Entscheidung nicht so leicht – möglicherweise würde ich nur die Polizei verständigen – zumindest in unbekannten Regionen.
Sie sehen, liebe Schwestern und Brüder, es gibt immer wieder Schwierigkeiten bei der Einordnung verschiedener Situationen – und das nicht nur im Alltag. Gerade politische Entscheidungen verlangen nach genauer Prüfung und Unterscheidung – z,B. im aktuellen Krieg in der Ukraine. Wie soll den dortigen Menschen geholfen werden? Ist es richtig, die Ukraine bei der Verteidigung ihres Landes mit Waffen zu unterstützen? Sind wir bereit, Versorgungsengpässe bei Gas und anderen fossilen Stoffen mitzutragen und die Preissteigerungen auszuhalten? Und ganz konkret: wie sieht es mit unserem Kirchenbesuch aus, wenn die Heizung gar nicht mehr eingeschaltet werden darf? Ein wenig erfreulicher Gedanke – auch bei der aktuellen Sommerhitze!
Damit komme ich zu der erwähnten Hierarchie verschiedener Rechtsgüter. Wir kennen die dabei notwendigen Abwägungen aus der Rechtsprechung zu den Corona-Einschränkungen, die uns wohl auch wieder im Herbst erwarten. Dort standen die Freiheitsrechte dem Recht auf Leben und Gesundheit gegenüber – die erforderliche Unterscheidung war und ist aber nicht einfach. Trotzdem wird sie von den Politikern – und auch uns mündigen Bürgern – erwartet, dass wir solche Entscheidungen treffen – und uns nicht nur nach dem Buchstaben des Gesetzes und einer möglichen Strafdrohung richten, sondern auch unser Gewissen befragen, das die letzte Instanz zur Prüfung und daraus abgeleitetem Handeln darstellt.
Liebe Schwestern und Brüder,
ein nicht so einfaches Thema – trotzdem wollen wir die Freude über die Kirchweih in Mainberg und die Erinnerungen unserer Kommunionjubilare an das damalige Ereignis nicht vergessen. Im Übrigen folgen Sie bitte niemals dem seltsamen Spruch: „Und willst du nicht mein Nächster sein, dann schlag ich dir den Schädel ein…!“
Diakon Dr. Michael Wahler
4. So im JK 22
WGF Löffelsterz
Wie sollte man die gehörte - und etwas verkürzte - Lesung aus dem Buch Daniel überschreiben, liebe Schwestern und Brüder? Etwa: „Die Rettung der Susanna“? Oder: „Was zählt eine Frau vor Gericht“? Ich könnte noch weitere Titel finden - sie kreisen aber immer darum, wie sexuelle Gewalt historisch und heute gewertet wird - und was die Betroffenen dabei für eine Rolle spielen. Noch schwieriger wird es mit dem Evangelium nach Matthäus - denn so schön das Lob der Kinder und der Kindheit klingt, bleibt doch auch der Satz haften: „Wer einen von diesen Kleinen…zum Bösen verführt, für den wäre es besser, wenn er mit einem Mühlstein um den Hals im tiefen Meer versenkt würde.“ Würde das die Einführung der Todesstrafe bedeuten, die unser Grundgesetz für immer verboten hat - oder wie ist das zu verstehen?
Sie merken, liebe Schwestern und Brüder, da fühle ich eine Gänsehaut - und es rieselt mir kalt den Rücken herab. Vielleicht ist ein solches Gefühl aber notwendig, um das ganze Ausmaß des Missbrauchs zu verstehen - der sich zwar nicht nur in der katholischen Kirche ereignet hat - was aber selbstverständlich keine Entschuldigung ist. Vergleiche mit anderen Institutionen passen einfach nicht - jedes Verbrechen ist eines zu viel! Und wenn Sie fragen, was ich zu diesem Thema überhaupt zu sagen habe, verweise ich auf meine lange Tätigkeit als Richter am Amtsgericht in Schweinfurt - speziell als Vorsitzender des Schöffengerichts -, das solche Fälle öfter zu verhandeln hatte.
Deshalb zunächst einige allgemeine Feststellungen: Sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen, aber auch sexuelle Gewalt unter Erwachsenen, sind viel häufiger, als es amtliche Statistiken aufzeigen - das sog. „Dunkelfeld“ ist erheblich größer. In den meisten Fällen kennen sich Täter und Opfer - die Beweislage ist oft schwierig, weil es regelmäßig nur den oder die Betroffene als Zeugen gibt - alle diese Delikte sind mit Scham und vermuteter Unglaubhaftigkeit besetzt - gerade Kinder verdrängen manches Erlebte, so dass erst nach Jahrzehnten das Vergangene öffentlich gemacht wird. Speziell im kirchlichen Kontext kommen dann noch das Ansehen der Institution zumindest im abgelaufenen Jahrhundert und die Vertuschungsmanöver kirchlich Verantwortlicher dazu!
Nun aber der biblische Bezug - gerade am Sonntag des Wortes Gottes. Die Erzählung im Buch Daniel könnte wie ein Krimi 600 Jahre vor Christus verstanden werden, dessen Happy End sich aus dem Vertrauen auf Gottes Hilfe ergibt; sicherlich soll auch der junge Daniel hervorgehoben werden. Was mir aber besonders auffällt, ist die Rechtlosigkeit der Susanna, die nicht einmal gefragt wird, da das übereinstimmende Zeugnis der beiden Ältesten, die wohl auch sonst als korrupte Richter fungierten, ausreichend erschien. Und selbst nach der Intervention Daniels und dem Aufdecken der Lügen der beiden Ältesten wird Susanna mehr als Objekt betrachtet, das zu schweigen hat - denn sie wird erneut nicht gehört. Dieses patriarchalische System setzte sich aber in der Geschichte bis in unsere Zeit fort - und ist in vielen Ländern noch vorherrschend. Ob wir bei uns - oder in der Kirche - nicht auch noch Relikte finden könnten?
Einige Sätze sind natürlich auch zum Evangelium nötig! Es geht natürlich nicht um eine Wiedereinführung der Todesstrafe, wie ich es überzogen angedeutet habe, aber es geht darum, mit diesem drastischen Vergleich Jesu die Wertigkeit der Kinder und das Schandbare einer Verführung zum Bösen herauszuheben. Ich würde sogar noch weitergehen - und den Missbrauch oder die sexuelle Gewalt als schwerwiegende Verbrechen brandmarken. Und eine Erweiterung auf alle „Kleinen“, d.h. alle Schwachen, Ausgenutzten und Verachteten, könnte das Wertesystem unserer Gesellschaft umstürzen - was im Magnificat angesprochen ist!
Schließlich muss ich noch auf das Vertuschen und das fehlende Verständnis für die Betroffenen eingehen - denn auch der Begriff „Opfer“ kann dazu führen, diese mehr oder weniger als Objekte anzusehen. Hier ist nicht nur ein formelles Schuldbekenntnis nötig - und auch nur das Eingeständnis, das juristisch abgesichert ist, reicht nicht aus. Eine Institution, die sich als moralisch versteht und andere Menschen nach ihren Wertevorstellungen beurteilt, muss mit höheren Maßstäben gewertet werden. Deshalb hoffe ich, dass sich die Verantwortlichen dieser Aufgabe stellen - sonst sind alle Bekundungen schlicht wertlos und anmaßend.
Ein kurzes Wort noch zu den notwendigen Konsequenzen für das System der katholischen Kirche - dazu gehören nicht unbedingt die klassischen Forderungen wie die Abschaffung des Pflichtzölibats oder die Priesterweihe von Frauen - viel wichtiger ist ein neues Amtsverständnis und der Ausbau synodaler Strukturen - ganz besonders aber ein neues Verständnis für die Sündhaftigkeit nicht nur einzelner Menschen, sondern auch von Institutionen!
Liebe Schwestern und Brüder,
trotz diesem schwierigen Thema möchte ich die Hoffnung auf eine geläuterte Kirche nicht aufgeben - vielleicht können wir dann auch wieder leichter im Credo von der „heiligen katholischen und apostolischen Kirche“ sprechen.
Amen.
Diakon Dr. Michael Wahler